
Die Idee meine Gedanken hier in einen Blog zu stellen, existiert schon eine Weile. Doch es verging einige Zeit zwischen der Idee und der Verwirklichung. Wenn ich auf die Entwicklung der Gesellschaft schaue, auf die Spaltung in vielen Bereichen, dann denke ich eigentlich, dass keine Zeit zu verlieren sei. Dass ich jetzt unbedingt handeln müsse. Früher wäre ich diesen Gedanken vermutlich gefolgt. Doch in den letzten Jahren bin ich ruhiger und gelassener geworden und kann auch einmal Dinge laufen lassen.
Warum?
Ich habe gelernt die Gegensätze Arbeit und Erholung wertzuschätzen. Früher wollte ich sofort etwas ändern, sobald ich Bedarf sah. Was ich sah, empfand ich als so wichtig, dass ich sofort aktiv werden musste. Ich nahm das Leben unheimlich ernst und alles was ich tat unheimlich wichtig. Und dabei legte ich indirekt auch einen sehr kritischen Massstab an andere an.
Dabei glaube ich, dass diese Einstellung gar nicht so selten vorkommt. Wie viele Leute sind so fokussiert darauf ihre Vision zu erreichen? Wie viele Menschen arbeiten bis sie in ein Burnout geraten und ihre Gesundheit für ihre Vision opfern.
Die Schwerkraft der Einseitigkeit
Wie konnte es dazu kommen? Werfen wir einen Blick darauf wie sich die Bewertung von dem was gut und erstrebenswert ist durch unseren Zeitgeist geprägt ist.
Das neuzeitliche Denken und insbesondere die Postmoderne haben zur Befreiung des Individuums geführt. Wir können unsere Lebensentwurf heute selbst gestalten. Allzu fixierte und enge gesellschaftliche Normen verloren dagegen ihren Absolutheitsanspruch. Doch nicht alles was wir tun können ist gut für uns. Nehmen wir das oben erwähnte Beispiel. Wir können unsere Ziele mit Nachdruck verfolgen, doch wenn darunter unsere Gesundheit leidet, überwiegen die negativen Folgen die positiven. Auch meine Gefühle sind nicht immer ein kluger Ratgeber. Der hochgradig Lungenkranke, der immer noch sein Päckchen Zigaretten am Tag raucht, folgt seinen Gefühlen, aber nicht seiner Logik. Es reicht oft nicht einfach nur nachzuvollziehen warum etwas gut oder schlecht für uns ist. Wir benötigen einen echten Perspektivenwechsel. Etwas das den inneren Drang zu einem Aspekt hin ausgleicht. Wir müssen wirklich verstehen, dass alle Dimensionen des Lebens wichtig sind und der Schwerkraft der Einseitigkeit entgegen wirken.
Schattenarbeit ist wichtig
Ich denke dass es immer noch viele Menschen gibt die oft unbewusst immer den gleichen Lösungsansätzen in Krisensituationen folgen. Ich nenne das einen linearen Lösungsansatz, bei dem wir denken, dass einfach eine Verstärkung der erfolgreichen Taktik in Krisen erfolgreich ist. So werden unsere Bewältigungsstrategien oft indirekt zu universalen Prinzipien des Erfolgs – und nicht selten auch der Lösungsansatz für alle Krisen der Gesellschaft.
Doch die Verfolgung eines linearen Lösungsansatzes – ob für sich selbst oder für andere – endet nicht selten in sturem Dogmatismus. Oft sind es gerade die Gegensätze die einen Entwicklungsschritt bringen. Vielleicht hast Du schon von dem Bild von der Wassertonne mit den unterschiedlich hohen Holzlatten gehört. In diesem Beispiel haben wir eine Wassertonne die aus senkrecht aufgerichteten und miteinander verbundenen Holzlatten zusammengesetzt ist, die jedoch alle unterschiedlich hoch sind. Sie hat also an ihrer Öffnung keinen einheitlich hohen Rand. In diesem Beispiel steht das Wasser, dass in die Tonne gefüllt wird für die Menge an Lebensqualität und die einzelnen Holzlatten für je eine Eigenschaft. Die langen Holzlatten symbolisieren die Stärken, kurze Holzlatten die Schwächen. Wenn wir jetzt Wasser hineinfüllen wird sich das Maximum der Wassermenge, also das Maximum der Lebensqualität daran definieren, wie hoch die niedrigste Holzlatte ist. In anderen Worten: Sich treu zu sein, und seinen eigenen Stärken und Idealen nach dem Prinzip „Je mehr, desto mehr“ zu folgen geht nicht auf und verbessert die Situation nicht mehr, wenn die Lebensqualität, durch die Eigenschaft die, man vernachlässigt oder sogar verteufelt hat, reduziert wird.
Dazu muss man anmerken, dass es nie darum geht, alle Latten auf die gleiche Höhe zu bringen. Wir alle haben Eigenschaften und Werte die uns wichtiger sind und andere die uns weniger wichtig sind. Doch wir können nicht einfach unser Leben lang aufs gleiche Pferd setzen und wenn wir alles verloren haben, sagen: „Immerhin bin ich mir selbst treu geblieben.“ Gerade weil wir uns zu lange selbst treu bleiben, ist der Verlust vielleicht geschehen. Stattdessen kommt der Moment wo wir Schattenarbeit betreiben müssen, uns also den Bereichen des Lebens zuwenden, die wir normalerweise vernachlässigen
Die Wertschätzung von Gegensätzen macht uns stärker und gesünder
Es ist also wichtig, Gegensätze wertzuschätzen und Wandlung als etwas Positives zu begreifen. Dafür ist es wichtig von einem linearen Lösungsansatz (Je mehr desto mehr) zu einem nicht-linearen Lösungsansatz (Je geringer die Kluft zwischen den Gegensätzen, desto besser) zu gehen. Vielleicht ist das was der politische Todfeind sagt, also gar nicht so schlecht. Vielleicht benötige ich gerade das, was mir sonst nicht so von der Hand geht. Dabei geht es, das muss ich immer wieder betonen, nicht um sture Gleichmacherei (die absolut gesetzt wieder ein linearer Lösungsansatz ist), sondern ernsthaft zu untersuchen, was in welchem Mass die Lebensqualität erhöht. Wenn wir die Gegensätze wertschätzen, beginnen wir sie nicht mehr zu verteufeln, sondern ein ganzheitliches Leben wertzuschätzen, das die Gegensätze integriert und in einen grösseren, sinnvollen Zusammenhang stellt.
Paradoxe Logik in einer Gesellschaft die Gegensätze vereint
Die Evolution von einem postmodernen Pluralismus in der ich einfach meinen persönlichen Idealen folge hin zu einem integrierenden Partikularismus, der die Gegensätze in einem grösseren Ganzen vereint, ist in der Praxis nicht schnell zu verwirklichen. Wir sind über Jahre geübt worden in einer linearen Logik zu denken, Gegensätze auseinander zu halten, Gut und Schlecht klar und eindeutig zu benennen und den eingetretenen Pfaden zu folgen. Selbst wenn wir seit der Postmoderne behaupten, das Richtig und Falsch nur noch relativ sind, so leben wir doch in der Praxis noch nach dem gleichen Konzept. Der nicht-lineare Lösungsansatz ist in gewisser Weise paradox. Denn er argumentiert nicht im „Entweder-oder“ sondern eher im „Sowohl- als –auch“.
Ein kurzes Beispiel soll die paradoxe Logik veranschaulichen. Du kannst das alles nun lesen und ablehnen. Du kannst mir sagen, dass du mit deiner Erfolgsstrategie immer gut gefahren bist. Doch damit widersprichst du der Theorie nicht zwingend. Denn ich bin ja gerade überzeugt, dass meine eigene Meinung selbst partikulär ist und Ergänzung durch Leute benötigt, die einen anderen Blick auf die Dinge haben. Ich könnte auch einen Blog darüber schreiben, dass es richtig ist sich selbst treu zu bleiben und auf die gleiche Erfolgsstrategie zu setzen. Denn ich bezweifle nicht, dass es Situationen gibt, wo das angebracht ist. Doch von meinem Standpunkt und meinem Erfahrungshorizont aus, sehe ich es im Moment als wichtiger an, der nicht-linearen Logik zu folgen. Niemals würde ich einem Mensch der für einen linearen Lösungsansatz wirbt, widersprechen. Denn wenn ich anfangen würde, Menschen mit gegensätzlicher Meinung als „zwingend falsch“ zu beurteilen, würde ich meinem eigenen Ansatz widersprechen. Wenn du mir dagegen widersprichst, dann bestätigst du mich indirekt, weil ich ja behaupte, dass Widersprüchlichkeit und Gegensätze nebeneinander existieren müssen, damit Leben wirklich gelingen kann. Entscheidend ist nur das beide Ansätze in ihrer Relativität erkannt und nicht verabsolutiert werden.
Eine soziale Vision
Die Gegensätze zu integrieren bedeutet im Prinzip nichts anderes als mehr auf das zu schauen, was uns eint und weniger auf das was uns trennt, was nicht bedeutet, dass wir nicht auch über das Trennende sprechen müssen oder es einfach ignorieren. Wenn es darum geht was uns eint, ist es wichtig uns eben als Teil eines grösseren Ganzen zu sehen, das wie ein Ökosystem miteinander verbunden ist und in dem alle auf irgendeine Weise voneinander abhängig sind.