Eine der wichtigsten Bedingungen für einen gelungenen Blog ist, dass er relevant ist. Was bringt es schon über ein Thema zu schreiben, dass nur ein paar Freaks und Experten wirklich beschäftigt? Woran erkennt man, dass ein Thema relevant ist?
Wenn es in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
Umso mehr hat es mich gefreut, als ich in einem Internetartikel auf die Neuveröffentlichung eines Buchs mit dem Titel „Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ gestossen bin. Es ist das Werk des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen und des Kommunikationsexperten Friedemann Schulz von Thun und ist Anfang des Jahres 2020 erschienen. Erstmals haben sich also zwei Experten mit der Entwicklung des gesellschaftlichen Miteinanders in den letzten Jahren intensiver beschäftigt. Sie kommen zu einer ähnlichen Analyse wie ich: Der Ton wird rauer, extreme Ansichten salonfähiger und die Toleranz vor anderen Meinungen nimmt infolgedessen ab.
Woher ich das weiss? Weil ich zügig in die nächste Buchhandlung gegangen bin und mir das Buch gekauft und anschliessend gelesen habe.
Und es hat meine Erwartungen nicht enttäuscht (sonst würde ich es hier auch nicht empfehlen :)). Und so habe ich beschlossen, das Buch hier für Dich vorzustellen. Ich werde also kurz darstellen, was Du von dem Buch erwarten kannst und welche Themen in ihm behandelt werden. Dabei werde ich nicht ins Detail gehen. Es wird also keinen Spoiler-Alarm geben!
Auf einzelne Konzepte der Autoren werde ich vielleicht in späteren Artikeln näher eingehen. Doch an dieser Stelle möchte ich Dich ermutigen, dir das Buch selber zuzulegen, wenn Dich das, was ich gleich vorstellen werde, neugierig macht.

Für wen also ist dieses Buch geeignet und was darf ich erwarten?
- Es ist ein Buch für alle, die dem „kommunikativen Klimawandel“ wie es die Autoren formulieren, entgegen wirken möchten. Wie verhalte ich mich in einer kontroversen Debatte möglichst deeskalierend? Wo sind die Grenzen für die Fortführung einer Debatte gegeben? Wie kann ich Empathie und Wertschätzung mit der Bereitschaft zum Streit und zur Konfrontation verbinden? Dabei werden Pörksen und Schulz von Thun nicht müde zu betonen, dass es keine ultimative Problemlösungsstrategie gibt. Wer also auf immer gültige Strategien und Rezepte hofft, wird enttäuscht. Vielmehr leitet das Buch zu einem bestimmten Lebensstil an.
- Weniger als dieser Blog hier diskutieren die Autoren, welches Menschen- und Gesellschaftsbild für ein gelungenes Zusammenleben hilfreich sein kann. Dieses Buch liefert keine Grundsatzdebatte über soziologische und anthropologische Konzepte. Vielmehr geht es um konkrete Situationen der Gesprächsführung. Dabei bedient vor allem Schulz von Thun immer wieder Konzepte aus Beziehungsdynamiken, die im Dialog entstehen können. Das Buch hat Potential zum Volltreffer zu werden, wenn du anwendungsorientierte Literatur suchst und wenn du vielleicht in einem Umfeld tätig bist in dem regelmässig Debatten und Diskussionen geführt werden.
- Das Buch ist auch für den Nachbar von nebenan einfach und verständlich geschrieben. Mit Ausnahme von Anfang und Schluss ist das Buch in dialogischer Form aufgebaut, in der Pörksen die moderierende Position einnimmt und Schulz von Thun dann zu seiner Meinung fragt. Anschliessend äussert sich aber auch Pörksen zu der Thematik und beide umkreisen ein Themenfeld für eine Weile, ehe sie zu einer neuen Frage weitergehen. Dabei werden viele Beispiele aus dem praktischen Leben aufgegriffen, die auch dem Laien immer wieder helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Auch humoristische Anekdoten kommen nicht zu kurz, wodurch das Lesen insgesamt sehr angenehm wird. Um das Buch schneller thematisch zu durchdringen ist es aber sicher hilfreich, sich mit der Thematik gedanklich bereits etwas auseinandergesetzt zu haben. Dann stellen sich auch die positiven „Aha-Effekte“ ein, wenn sich für eine Frage wo man schon lange nach einer Lösung suchte, auf einmal Handlungsoptionen auftun.
Und welche Themen werden in dem Buch behandelt?
Im Vorwort beschreibt Bernhard Pörksen den „kommunikativen Klimawandel“ der vor sich geht. Nie zuvor konnte die Meinung des Einzelnen so öffentlich mitgeteilt werden, wie in der Zeit der Digitalisierung. Die Digitalisierung treibt die Meinungsbildung voran, insofern Journalistinnen und Journalisten nicht mehr allein entscheiden, was relevant, interessant und wichtig ist. Sie verlieren zunehmend an Deutungsmacht, je mehr das Internet jeder Privatperson die Möglichkeit gibt, ihre Meinung kundzutun. Die Kehrseite dieser Demokratisierung der Meinungsbildung ist, dass extreme Meinungen und beleidigende Kommentare weitgehend ungeahndet ins Rampenlicht geraten können. Das sorgt für einen „kommunikativen Klimawandel“. Was die einen als das Ende der „politischen Korrektheit“ feiern, beklagen die anderen als eine zunehmende Eskalation von “Hass und Hetze”.
Das erklärt warum ein „kommunikativer Klimawandel“ stattfindet, doch es steht die Frage im Raum wie man damit umzugehen ist. Noch im selben Kapitel geht Pörksen auf die Grundintention des Buches ein: Diese besteht darin, dem anderen wenigstens mit einem „Minimum an Wertschätzung zu begegnen, wenn man mit ihm sprechen will“. Das erste Ziel des Miteinander-Redens soll nicht in der Überzeugung des anderen von meiner Sicht der Dinge liegen, sondern im Versuch den anderen zu verstehen und ihn in seiner Andersartigkeit zu erkennen. Es geht also sehr grundsätzlich um eine Änderung in der Haltung gegenüber dem Anderen. In dieser zentralen These gehe ich mit den Autoren mit, ich beschreibe diese Haltung genauer in dem Artikel zu meinem vierten Kernwert.
Ab dem ersten Kapitel wird das Thema in der dialogischen Form zwischen Pörksen und Schulz von Thun fortgeführt. Im zweiten Kapitel geht es darum, wie Polarisierungsdynamiken entstehen – das wird anhand von plastischen Beispielen im privaten Bereich und in der gesellschaftlichen Debatte erörtert. Hier wird auch das Konzept des Wertequadrats näher vorgestellt, das meiner Meinung nach ein sehr wirksames Mittel darstellt, wie man selbst in harten Diskussionen einen guten Grundgedanken in der Position des Gegenübers finden kann (oder im negativen Fall die gute Grundgesinnung des anderen vollkommen abwertet). Aber jetzt hörst du vielleicht schon die Sirene des Spoiler-Alarms, darum schnell zum zweiten Kapitel!
Dort geht es dann richtig zur Sache! Hier geht es um Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs. Beide Autoren sind sehr vorsichtig, Dialog als das Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Kontroversen zu sehen. Sie gehen darauf ein, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit man überhaupt einen Dialog führen kann, der mit der echten Möglichkeit einer Verständigung enden kann. Auch gehen sie darauf ein, dass der Dialog im privaten und im öffentlichen Bereich unterschiedlich angemessen sein kann, weil man sich im öffentlichen Bereich klar werden muss, dass jede Handlung und Äusserung von der Öffentlichkeit bewertet wird. Im öffentlichen Diskurs muss sich jeder darüber klar werden, welche Nebeneffekte sein Handeln auf Dritte haben kann. Zuletzt geht es um die wichtige Frage wie man die richtige Mischung aus Annäherung und Ablehnung erreicht. Auch hier wird wieder anhand plastischer Beispiele sehr schön formuliert.
Das dritte Kapitel behandelt dann Themen, die nicht so sehr im Mittelpunkt meines Blogs stehen. Hier geht es darum, wie durch die fortschreitende Digitalisierung und Sichtbarkeit von öffentlichen Personen mehr Material entsteht, das genutzt werden kann um Personen zu diskreditieren. Das Kapitel kann vor allem für Personen die viel in der Öffentlichkeit stehen, interessant sein. Da jeder von uns irgendwann Fehler macht, wird es zunehmend wichtig wie wir mit den eigenen Fehlern umgehen und sie transparent und angemessen kommunizieren können. Denn sonst bestimmt die öffentliche Meinung den öffentlich gemachten Skandal.
Im vierten und letzten Kapitel geht es um Desinformation und Manipulation, die durch die Digitalisierung entstehen. Extremereignisse wie Terroranschläge laden auf den sozialen Medien geradezu zu Falschmeldungen oder zumindest verzerrter Information ein, wenn sie schnell und ohne nähere Reflexion mitgeteilt werden. Wie kann man eine Berichterstattung leisten, die dem Drang des Bürgers nach schneller Aufklärung entgegen kommt ohne dabei voreilig zu sein und sich dem Vorwurf tendenziöser Berichterstattung ausgesetzt zu sehen? Dieses Kapitel ist besonders interessant für Menschen die selbst Informationskanäle bedienen, sowohl Berufsjournalisten als auch fleissigen Nutzern eines Twitter-Accounts.
Insgesamt gehen Pörksen und Schulz von Thun sehr umsichtig und bedacht an die Thematik, umkreisen sie von verschiedenen Seiten, doch immer wenn man den Eindruck hat, dass sich die Thematik durch eine weitere Schlaufe verliert, kommen sie auch wieder zu ihrer Grundhaltung zurück. Miteinander-Reden ist eine Interaktion, weshalb es so wichtig ist, den anderen nicht einfach als einen Gegner oder potentielles Überzeugungsobjekt zu sehen, sondern in dem Gespräch mit dem anderen ein Beziehungsgeschehen zu erkennen in dem im optimalen Fall ein Austausch stattfindet und ich Einblick in eine neue Perspektive auf ein Thema bekomme.
Ich war dankbar dieses Buch gefunden zu haben, dass die Aktualität der Entwicklung aufnimmt. Auch wenn ich den beiden Autoren nie begegnet bin, gibt es doch das Gefühl Mitstreiter auf der eigenen Mission zu haben. Womit wir wieder beim Anfang wären: Der Relevanz des Themas.
Dass unsere Gesellschaft sich gerade in einer Phase des Umbruchs befindet ist spürbar und erkennbar. Eine wichtige Frage aber ist, wie dieser Umbruch sich gestaltet. Wird er mehr durch Konfrontation oder mehr durch Kooperation geprägt sein?
Es ist die Zeit, in der die Verbinder- und Versöhnerpersönlichkeiten erkennen müssen, wie relevant ihre Gabe ist. Steht auf, bringt euch ein und helft mit, dass dieser Umbruch nicht zu einem Kampf zwischen den Hütern der alten Ordnung und den Befürwortern einer Neuen ausartet.
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